Alles nur Nostalgie?

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gentleman-driver
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Alles nur Nostalgie?

Beitrag: # 2474Beitrag gentleman-driver »

In einem anderem Forum, carsablanca.de habe ich nachfolgenden Bericht vom User "Nakalia" gefunden,
gelesen, gut geschrieben und finde ihn sehr interessant wie auch zutreffend.
Daher habe ich ihn kopiert, um ihn hier zu posten.

Zitat:

Alles nur Nostalgie?

Heute hatte ich eine kurze Diskussion, ob die Begeisterung für alte Autos bloße Nostalgie sei. Schwärmen für eine vermeintlich bessere Zeit.

Nach kurzer Überlegung habe ich dies verneint.
Es ist keine Sehnsucht nach glücklicheren und überschaubaren Zeiten, zumindest nicht bei mir. Es ist eine ästhetische Frage und eine des bewussten Konsums: Auch in vergangenen Zeiten hat es hässliche Pkw gegeben, die Zukunft wird erneut attraktive und technische reizvolle bringen. Stattdessen wähle ich aus einem Angebot klassischer Formen, ähnlich wie bei Schuhen zum Beispiel: Es gibt Budapester, italienische Slipper, Sneakers, robuste Wanderschuhe. Entscheidend für meine Vorliebe sind Form, Farbe und Qualität. Letztere ist dafür entscheidend, dass für mich über lange Zeit attraktiv bleiben und unabhängig von ihrem Alter auch den Gang zum Schuster rechtfertigen.
Genau wie in diesem Beispiel verhält es sich mit Autos. Grundsätzlich gibt es für mich kein Entweder - Oder, sondern entscheidend sind Optik, Komfort, Qualität und technische Konzeption, ob ich mich für ein Modell entscheide. Ältere Autos können genauso viel Ärger verursachen wie aktuelle. Die Mängel mögen andere sein, sie kennen keine defekten Drosselklappen oder Steuergeräte, der zeitweise Ärger, vor allem die Kosten für Unterhalt und Reparaturen, summieren sich unterm Strich aber auf vergleichbare Summen wie bei einem neueren Fahrzeug. Letzteres hat noch mit einem kontinuierlichen Wertverlust zu kämpfen, ältere Fahrzeuge haben in diesem Punkt die Talsohle seit langem erreicht, werden im Idealfall je nach Modell nominell sogar wertvoller. Von Gewinn kann man in der Regel nicht sprechen, denn Wartung und Garagenmiete schlagen ja ebenfalls zu Buche. Wie auch immer, wenn die Kosten für alt und neu annähernd identisch sind, dann habe ich persönlich die Wahl, wofür ich mein Geld investieren möchte.

Nostalgie ist die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, mit scheinbar besserer Ordnung als in der Gegenwart. Versehen mit einem nicht unbeträchtlichen Maß an Verklärung, denn vergangene Zeiten waren einst genauso Gegenwart wie der jetzigen Moment, der heutige Tag, mit seinen Sorgen, Unerledigtem und Problemen, aber eben auch Befriedigendem. Und so nutzt man auch ein altes Fahrzeug ganz profan in der momentanen Gegenwart. Auch zur Zeit seiner Fertigung hatten die Menschen Ansprüche an Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit und den Sicherheitsstandards. Bei letzterem ist der Maßstab des Normalen über die letzten Jahre sehr gestiegen, bei den beiden ersteren muss jedoch auch ein Laie eingestehen, dass diese ab einem gewissen Stadium einfach nicht mehr steigerbar sind - mehr als eine problemlose Fahrt zum Ziel geht nun einmal nicht, und eine Fahrt zum Nulltarif wird es, realistisch betrachtet, in unseren mitteleuropäischen Breiten wohl nicht geben. Zur Sicherheit sei soviel gesagt: Wer etwas technisches Verständnis besitzt, wird, wenn er sich mit Entwicklungen auseinandersetzt, feststellen, dass bereits vor recht langer Zeit ein wirksamer Standard in der Fahrzeugsicherheit erreicht wurde. Bei einer Kollision besteht für den menschlichen Körper die größte Gefahr durch das abrupte Abbremsen des Fahrzeugs beim Aufprall. Der Gurt verhindert dessen unkontrolliertes Schleudern in diesem Moment, ein stabiler Sitz mit Kopfstütze fängt ihn auf. Die Lenksäule hat ein Knickelement, welches sich bei Bedarf ausklingt und ein Eindringen in den Innenraum verhindert. Je nach Baujahr schützen ABS, Pro-con-ten oder Airbags.
Ein vehement angeführtes Argument für neue Fahrzeuge sind die Assistenzsysteme, welche bei Gefahr einen Aufprall verhindern oder abmildern sollen. Außer Acht gelassen wird, dass eine solide, mit ausreichend Ressourcen berechnete Karosseriestruktur für das Überleben jedoch noch einmal wichtiger ist, absorbiert sie doch die Aufprallenergie.

Die elektronischen Systeme mögen bei Bedarf eingreifen, können die Grenzen der Physik jedoch nicht aufheben. Ab einem bestimmten Moment ist ein Fahrzeug auch hier für den Fahrer nicht mehr zu kontrollieren. In dieser Situation muss er auf die Haltbarkeit der Karosseriestruktur vertrauen, den diese schluckt im Ernstfall die auftretende Energie. Regelsysteme können so einen Unfall möglicherweise vermeiden oder abmildern, ist eine Kollision, dann aber jenseits der elektronisch regelbaren Grenzen der Physik, unausweichlich, nimmt kein elektronisches Programm die nun auftretenden Kräfte auf, sondern nur ein sinnvoll berechnete und ausreichend dimensionierte Karosserie.

Von daher bleibt als Fazit:
Ästhetik und Fahrgefühl sind das eine, auch alte Fahrzeuge können hier mit einer reizvollen Kombination locken. Mit fortlaufender Entwicklung traten jedoch auch immer mehr Sicherheitseinrichtungen hinzu. Einige sind meiner Meinung nach elementar, um auch eine schwerere Kollision zu überleben: Eine stabile Fahrgastzelle, Gurt, Integralsitz, Sicherheitslenksäule. Elektronische Assistenzsysteme unterstützen diesen mechanischen Schutzschirm. Welches Maß an Sicherheit man im Pkw erwartet, kann nur jeder selbst definieren. Ich für meinen Teil weiss jedoch, dass ich je nach Fahrzeug auch bei älteren Modellen einen hohen Sicherheitsstandard erwarten kann, welcher mein Leben und das meiner Passagiere schützt. Mit dieser Kenntnis um die technischen Voraussetzungen, ist es, nur für mich gesprochen, eine bewusste Konsumentscheidung. Es ist eine Wahl zwischen verschiedenen Produkten, die einen älter, und die anderen neu.
:k Drivers Gruss Bild


GUT & GÜNSTIG widerspricht sich,
GERECHT & SOZIAL widerspricht sich noch mehr !
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